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Veröffentlicht am
06.07.2022 17:26:49

Pogacar brilliert auf Pflaster - Alptraum-Tag für Roglic

Hatte sich seine letzten Kräfte für den Zielsprint aufgespart: Etappensieger Simon Clarke (r) gewinnt gegen Taco van der Hoorn. Foto: Daniel Cole/AP/dpa
Hatte sich seine letzten Kräfte für den Zielsprint aufgespart: Etappensieger Simon Clarke (r) gewinnt gegen Taco van der Hoorn. Foto: Daniel Cole/AP/dpa

Arenberg (dpa) - Nach der wilden Hatz über das staubige Kopfsteinpflaster Nordfrankreichs musste selbst Tadej Pogacar durchschnaufen. Sichtlich erleichtert fuhr der Titelverteidiger der Tour de France am berüchtigten Wald von Arenberg in seinem völlig verdreckten Trikot über die Ziellinie.

Der 23-Jährige brillierte auf den holprigen Pavés und fuhr wertvolle Zeit auf seine Konkurrenz heraus. Chef-Herausforderer Primoz Roglic kassierte einen großen Rückstand und verletzte sich bei einem Sturz an der Schulter.

«Das war ein richtig guter Tag, ich fühlte mich sehr stark. Das gibt mir einen großen Motivationsschub. Die Kopfsteinpflastersektoren waren richtig hart. Das mag einfach ausgesehen haben, aber das war es überhaupt nicht», sagte Pogacar. Den Etappensieg sicherte sich der Australier Simon Clarke im Sprint einer fünfköpfigen Ausreißergruppe. Das Gelbe Trikot des Spitzenreiters verteidigte der Belgier Wout van Aert erfolgreich.

Pogacar ist nun Vierter

Auf den Vorjahreszweiten Jonas Vingegaard und Alexander Wlassow, Kapitän des deutschen Teams Bora-hansgrohe, gewann Pogacar durch eine Attacke auf dem viertletzten von elf Kopfsteinpflasterstücken 13 Sekunden. Auf Roglic sogar über zwei Minuten. Der Slowene kugelte sich bei einem Sturz die Schulter aus. «Ich konnte sie nicht gleich wieder einrenken, also musste ich mich auf den Stuhl eines Zuschauers setzen. Ich habe da eine spezielle Technik und so habe ich sie wieder eingerenkt», sagte der 32-Jährige in einem TV-Interview. Er wolle die Tour fortsetzen.

Die Kapitänsfrage dürfte im Team Jumbo-Visma damit geklärt sein. Vingegaard liegt 21 Sekunden hinter Pogacar, während es für Roglic schon weit über zwei Minuten sind. «Das war extrem schnell und extrem hektisch. Es war ein Ausscheidungsfahren. Die Mannschaft ist stark gefahren», sagte Wlassows Helfer Maximilian Schachmann. Wlassow liegt als Zwölfter 37 Sekunden hinter dem Gesamtvierten Pogacar.

Roglic und Vingegaard waren durch Defekte bereits zurückgeworfen worden, als Pogacar im viertletzten Kopfsteinpflastersektor attackierte und auch Wlassow, Kapitän des deutschen Teams Bora-hansgrohe, distanzierte. Mit dem Klassiker-Spezialisten Jasper Stuyven jagte Pogacar eine fünfköpfige Spitzengruppe und fuhr kurze Zeit sogar im virtuellen Gelben Trikot. Im Finale schienen aber auch dem Dominator die Kräfte auszugehen und er konzentrierte sich darauf, Zeit auf seine Klassement-Konkurrenten herauszufahren.

Dass sich der Schaden für Vingegaard und Wlassow in Grenzen hielt, war vor allem der Arbeit von van Aert zu verdanken. Der Belgier riskierte sein Gelbes Trikot und opferte sich für Vingegaard auf. «Ich war selbst überrascht, dass ich noch Gelb habe», sagte van Aert. «Am Ende war der Schaden nicht so groß. Wir sind mit Jonas in der Gesamtwertung noch gut dabei.»

Die Nervosität im Feld war groß

Elf Kopfsteinpflastersektoren mit einer Gesamtlänge von 19,4 Kilometern mussten bewältigt werden. Im Vergleich zur von Degenkolb 2018 gewonnenen Etappe über die Pavés Nordfrankreichs wählten die Organisatoren in diesem Jahr längere Sektoren, um das Rennen schwieriger zu gestalten.

Die Teams passten das Setup der Räder den Herausforderungen des Tages entsprechend an. So fuhr Wlassow, das Rad, dass das Team auch beim Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix einsetzt. Am Lenker ist eine Federung verbaut, die sich an- und abschalten lässt. Zudem waren 32 Millimeter breite Reifen ohne Schlauch montiert, auf normalen Etappen werden maximal 28 Millimeter gefahren. Ein dickeres Kettenblatt sollte dafür sorgen, dass die Kette nicht runterfällt.

Das Feld fuhr vom Start weg mit ordentlich Druck auf dem Pedal. Allein in der ersten Rennstunde betrug der Schnitt 51 km/h. Die Nervosität war groß, sogar bei van Aert sorgte es für eine Unachtsamkeit. Nach einer Kollision mit Teamkollege Steven Kruiswijk stürzte der Belgier etwa 95 Kilometer vor dem Ziel. Auf der Hatz zurück ins Feld kollidierte er zudem leicht mit einem Teamfahrzeug.

Die Vorfälle schienen Spuren hinterlassen zu haben, denn auf den Kopfsteinpflasterpassagen hielt sich van Aert ungewöhnlich weit hinten auf. Es lief nicht sonderlich rund für das Team Jumbo-Visma. Etwa 35 Kilometer vor dem Ziel hatte der Vorjahreszweite Vingegaard einen Defekt, musste lange auf ein passendes Ersatzrad warten. Van Aert ließ sich zurückfallen, um dem Dänen zu helfen. Kurz darauf fiel auch Roglic zurück. Innerhalb von wenigen Kilometern verlor Jumbo-Visma womöglich schon auf dem fünften Teilstück die Tour.

Spektakulärer Crash mit Zuschauer

Ein folgenschwerer Zusammenprall mit einem Zuschauer hat den österreichischen Radprofi Michael Gogl zur Aufgabe bei der Tour gezwungen. Zunächst touchierte der Schweizer Daniel Oss einen unachtsamen Zuschauer auf einer Kopfsteinpflasterpassage mit dem Kopf und kam zu Fall. Der dahinter ranrasende Gogl konnte bei hoher Geschwindigkeit nicht mehr ausweichen und flog über das Rad von Oss. Dabei zog sich Gogl nach Angaben seines Teams Alpecin-Deceuninck einen Beckenbruch und einen Schlüsselbeinbruch zu und muss operiert werden.

Sowohl Oss als auch der ebenfalls in den Sturz verwickelte Danny van Poppel setzten das Rennen fort. «Leute, bitte bleibt von der Straße weg», schrieb Radprofi Simon Geschke bei Twitter. Bereits im vergangenen Jahr war es bei der Tour zu einem schweren Sturz gekommen, als der Deutsche Tony Martin in das auf die Straße gehaltene Pappschild einer Zuschauerin raste, mit dem sie ihre Großeltern grüßen wollte.