Offizielle Webseite des Bund Deutscher Radfahrer e.V.
Veröffentlicht am
05.07.2019 13:32:53

BDR-Generalsekretär Wolf über die Leistungssportreform: «Wir haben unser Lachen verkauft»

Martin Wolf ist seit 27 Jahren im BDR tätig. Foto: rad-net
Martin Wolf ist seit 27 Jahren im BDR tätig. Foto: rad-net

Oberlungwitz (rad-net) - Am Rande der Deutschen Straßenmeisterschaften auf dem Sachsenring traf sich das Team von rad-net mit BDR-Generalsekretär Martin Wolf. In einem Interview sprach rad-net mit Wolf über die Entwicklung des Radsports, die Olympischen Spiele und auch über die Leistungssportreform und «POTAS», die Potenzialanalyse des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Wolf ist seit 1992 im Bund Deutscher Radfahrer (BDR) tätig, zunächst 15 Jahre im Referat Leistungssport, seit zwölf Jahren als Generalsekretär.

Herr Wolf, wie hat sich der Radsport in dieser Zeit entwickelt?

Martin Wolf: Als ich beim BDR angefangen habe, gab es mit dem Straßenradsport und dem Bahnradsport nur zwei olympische Disziplinen, die beiden anderen geförderten Standbeine des Verbandes waren der Hallenradsport und Querfeldein. Durch die Wiedervereinigung und die Zusammenlegung der Teams aus Ost und West gab es damals in Barcelona bei den Olympischen Spielen 1992 ein herausragendes Ergebnis und im Hinblick auf die nächsten Jahre eine riesige Erwartungshaltung und Euphorie im Deutschen Sport insgesamt.

Und heute?

Wolf: Heute stehen wir vor gewaltigen Herausforderungen, sowohl im Radsport, als auch in allen anderen Sportarten. Im Radsport haben wir inzwischen mit MTB, BMX Race und BMX Freestyle drei olympische Sportarten hinzubekommen. In allen fünf Sportarten wurde über die letzten zwölf Jahre hinweg das Qualifikationssystem für Olympia durch die UCI auf einen Zeitraum von zwei Jahren mit immer mehr Wettkämpfen ausgedehnt und gleichzeitig die Teilnehmerzahl bei Olympia in allen Bereichen reduziert. In Tokio zum Beispiel werden sich im Bahnbereich in den Disziplinen Teamsprint und Mannschaftsverfolgung nur noch jeweils acht Teams qualifizieren, in der Einzeldisziplin BMX Freestyle sind es bei Männern und Frauen nur jeweils neun Sportler und Sportlerinnen. Dies führte zu einer extremen Professionalisierung.

Wie werden diese zusätzlichen Qualifikationsmaßnahmen finanziert?

Wolf: Hier wurden dankenswerterweise zusätzliche Mittel durch das Bundesinneninnenministerium zur Verfügung gestellt, so dass wir die Kosten für die Teilnahme an und die Vorbereitung auf die Qualifikationswettkämpfe erstattet bekommen. Allerdings geht dies zu Lasten der Nachwuchsentwicklung, da dort Gelder eingespart werden müssen. Ab dem Jahr 2021, wenn nach heutigem Stand auch die Grundförderung der Verbände wegfallen wird, aus der man Nachwuchsentwicklungsmaßnahmen flexibel finanzieren konnte, könnten wir hier ein massives Problem bekommen.

Sollte es nicht gerade hier im Rahmen der Potenzialanalyse [POTAS, Anm. d. Red] zusätzliche Mittel für Nachwuchsentwicklung geben?

Wolf: Ja, das hatten wir auch erhofft, aber inzwischen stellt sich das etwas anders dar. Der einzige wirklich große Vorteil, den die Leistungssportreform bringen sollte - nämlich die enge, abgestimmte, zielorientierte Kooperation von Dachverband und Landesverband, also des BDR mit seinen Landesverbänden - ist im Moment den Formalitäten zum Opfer gefallen. Statt eines durchlässigen Systems mit einer engen Verzahnung der Maßnahmen, taucht derzeit sehr oft eine Begrifflichkeit auf, die schon zeigt, in welche Richtung sich das System entwickelt: 'Verursacherprinzip'. Klingt schon richtig positiv und motivierend, oder? Während wir bisher Trainingsgruppen an unseren Stützpunkten hatten, die unabhängig des Kaderstatus, also Olympiakader, Perspektivkader und Nachwuchskader gemeinsam trainierten und betreut wurden, einmal von einem Bundestrainer, einmal von einem Landestrainer, soll es jetzt eine Trennung geben. Olympiakader, Perspektivkader und Nachwuchskader 1 dürfen nur vom Bundes- oder Bundesstützpunkttrainer betreut werden, Nachwuchskader 2 nur vom Landestrainer.

Das hört sich gerade ein wenig frustriert an. Ist POTAS nicht der große Wurf?

Wolf (lacht): Diese Frage darf ich eigentlich nicht beantworten, da wir zu gut 60 Prozent auf die öffentlichen Mittel angewiesen sind. Sagen wir es einmal so. Mit der Zustimmung zur Leistungssportreform geht es uns wie Tim Thaler. Wir haben unser Lachen verkauft. POTAS ist tatsächlich genau das befürchtete Bürokratie-Monster geworden. Zum Lachen ist im Verband keinem mehr dabei zumute. Derzeit arbeiten fünf Personen jeden Tag daran, pro Disziplin - getrennt nach männlich und weiblich - insgesamt jeweils 130 Fragen, also insgesamt circa 1000, zu beantworten und dazu entsprechende Dokumente hochzuladen. Unser Mitarbeiterstab in der BDR-Geschäftsstelle in den Bereichen Leistungssport und Finanzen bestand bereits zu Beginn meiner Tätigkeit im Jahr 1992 aus der gleichen Anzahl an Mitarbeitern wie heute, da es für administrative Aufgaben keine zusätzlichen Fördermittel gibt. Die Anzahl der Sportmaßnahmen, die geplant, durchgeführt und abgerechnet werden müssen, hat sich aber in der gleichen Zeit von 300 auf 600 verdoppelt. Sie können sich also vorstellen, wie groß die Begeisterung dort über diese zusätzlichen Belastungen im vorolympischen Jahr ist.

Wird der BDR unter diesem Aspekt seine Ziele für Tokio 2020 und Paris 2024 nach unten korrigieren?

Wolf (lacht wieder): Nein, das werden wir nicht. Wir haben uns vorgenommen trotz POTAS erfolgreich abzuschneiden. Für Los Angeles 2028 könnte es kritischer werden, falls die Nachwuchsförderung tatsächlich ab 2021 zurückgefahren werden muss.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mitgliederversammlung des DOSB: Sport steht geschlossen hinter der Leistungssportreform

Bedeutung der Spitzensportreform für den Radsport - BDR-Sportdirektor Moster im Interview

DOSB legt Konzept für «Leistungssportreform Deutschland» vor