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BDR-Vizepräsident Harry Bodmer. Foto: BDR
27.05.2020 12:26
BDR-Vizepräsident Bodmer: «Denke, wir kommen nach Corona schnell wieder in die Gänge»

Frankfurt (rad-net) - Harry Bodmer ist seit 1997 Vizepräsident für Hallenradsport im Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Der 54-Jährige war selbst ein erfolgreicher Kunstradsportler und wurde vier Mal Weltmeister im Einer-Kunstfahren. Wie sehr die Corona-Pandemie die Kunstradsportler und Radballer trifft und was das für die Ende November geplante Weltmeisterschaft in Stuttgart bedeutet, darüber spricht er im Interview.

Der Hallenradsport leidet sehr unter der Corona-Krise. Trainingshallen sind geschlossen, alle Meisterschaften der Nachwuchsklassen definitiv abgesagt. Wie ist die derzeitige Situation?

Harry Bodmer: Wir sind – wie alle anderen Sportarten auch – auf die Entscheidungen der öffentlichen Behörden angewiesen. Im Elitebereich des Kunstradsports sind wie in der guten Situation, bisher noch keine eigenen Veranstaltungen absagen zu müssen, weil sie erst im Herbst terminiert sind. Aber im Nachwuchsbereich hat uns die Corona-Krise hart getroffen. Alle Meisterschaften wurden abgesagt. Und im Radball sind schon drei Bundesliga-Spieltage dem Coronavirus zum Opfer gefallen. In Frankfurt mussten wir gerade auch einen Lehrgang im Kunstfahren der Eliteklasse streichen, weil die Sportschule bis einschließlich 14. Juni geschlossen bleibt. In Baden-Württemberg dürfen unsere Kader-Athleten zum Glück wieder trainieren, nach einem strikten Hygienekonzept. Jeder Athlet muss auch einen Fragebogen ausfüllen, damit nachverfolgt werden kann, wer welche Kontakte hat. Das ist sehr viel Bürokratie, aber in dieser Zeit notwendig.

Wie sieht das Training konkret aus?

Bodmer: Im Einer-Kunstfahren kann man im Training genug Abstand halten, im Zweier und Vierer ist Einzeltraining möglich. In der Schweiz wurde gerade Training im Zweier- und Vierer-Bereich erlaubt, allerdings müssen die Athleten Mundschutz tragen. Ebenfalls müssen Sie, wie unsere Athleten auch, sich an strikte Hygienemaßnahmen halten. Das sind Regelungen über das Desinfizieren von Händen, Rädern und Geräten. Hilfestellungen sind auch nicht durch jeden Trainer möglich, sondern nur durch eigene Kontaktpersonen, unter anderem Familienmitglieder. Problematischer ist es mit einer Kontakt-Sportart wie Radball, da man neben dem Einzeltraining eben auch sinnvollerweise mit einem Gegner trainieren sollte.

Könnte es im Sommer zu weiteren Lockerungen kommen?

Bodmer: Ende Mai tritt die Bunderegierung zusammen und bewertet die Sachlage neu. Danach wird das BDR-Präsidium wieder tagen und wir werden unsere Maßnahmen und Vorkehrungen der neuen Sachlage anpassen.

Es gibt die Empfehlung, bis 31. August keine Großveranstaltungen durchzuführen. Damit ist doch eigentlich keine Veranstaltung bis zu diesem Datum möglich?

Bodmer: Da sitzen wir als Verband zwischen den Stühlen. Ich habe Kontakt mit einigen Politikern, die auch in vielen Dingen ratlos sind. Wir brauchen eigentlich eine klare Definition, was eine Großveranstaltung ist. Ein weiteres Problem ist, dass Verordnungen von der zuständigen Landesregierung ohne Rücksprache mit dem Parlament erlassen werden können. Und daher kommt es von Bundesland zu Bundesland zu ganz unterschiedlichen Bewertungen.

Wie ist Ihr Kontakt mit Sportlern und Trainern derzeit?

Bodmer: Es besteht ein reger Austausch in einer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe. Auch mentale Trainingselemente, die Bundestrainer Dieter Maute im Kunstfahr-Bereich anbietet, funktionieren.

Die Hallen-WM ist im November geplant. Bis dahin könnte alles wieder einigermaßen planmäßig laufen, es könnte aber auch eine weitere Welle auf uns zurollen. Wie bewerten Sie die Chancen, dass die WM in einer relativ kleinen Halle mit fast 6000 Zuschauern stattfinden kann?

Bodmer: Derzeit laufen die Planungen, aber natürlich hängen alle in der Luft, weil niemand abschätzen kann, wie sich die Sachlage im November gestaltet. Eine tragende Säule einer Hallen-WM ist neben den sportlichen Highlights auch der typische Event-Charakter, das Zusammensein am Abend nach den Wettkämpfen. Wenn das nicht stattfinden kann, aber auch wenn weit weniger Leute als möglich in die Halle kommen dürfen, bedeutet das für den Ausrichter ein großes finanzielles Defizit. Und die großartige Stimmung in der Halle leidet auch sehr darunter. Die zweite Frage, die sich stellt, wie viele Nationen dürfen anreisen? Können Sportler aus Kanada, aus Asien, zu den Titelkämpfen reisen? Es macht keinen Sinn, eine WM mit nur vier, fünf Nationen auszurichten. Das sind alles Fragen, mit denen wir uns in den nächsten Wochen beschäftigen müssen.

Bis wann muss die Entscheidung fallen?

Bodmer: Noch haben wir ein halbes Jahr Zeit, bis die WM beginnt. Aber es wird einen Tag X geben, an dem man konkrete Entscheidungen braucht. Wann dieser Tag sein wird, kann ich noch nicht sagen.

Hallenradsport als nichtolympischer Sport, fühlt er sich derzeit in die Defensive gedrängt, beziehungsweise sehen Sie langfristig Nachteile für Ihre Sportart?

Bodmer: Die Frage, wie man aus der Corona-Krise herauskommt, die stellen sich derzeit alle Sportarten. Wir im Hallenradsport sind uns aber einig, dass wir nicht in die Defensive gedrängt sind. Die derzeitige Situation zeigt, dass olympische und nicht-olympische Sportarten im Grundsatz gleich sind. Wir sind alle gleich betroffen. Es ist Fluch, aber auch Chance zugleich, sich hinterher gut zu präsentieren und sich den Medien anzubieten. Wir Hallenradsportler haben Glück, dass nicht so viel Geld in unserem Sport steckt und wir deshalb keine großen wirtschaftlichen Folgen zu erwarten haben. Wenn die Halle zu ist, bleiben wir vielleicht auf einer Hallenmiete sitzen, aber mehr nicht. Im Straßenradsport, wo der Fortbestand der Profiteams zum großen Teil von der Durchführung der Tour de France abhängt, ist die Situation viel problematischer. Ich denke, dass wir nach Corona schnell wieder in die Gänge kommen werden.

Also könnten sie nach dem 31. August schnell wieder durchstarten?

Bodmer: Eigentlich ja, aber es gibt einige Termine, wie die German Masters Anfang September, da braucht man früher eine Entscheidung. Die Veranstalter können nicht den 31. August abwarten und müssen dann ihre Veranstaltung, die eine Woche später stattfinden würde, absagen. Dann würden Kosten entstehen, die nicht zu refinanzieren sind. Einen gewissen Vorlauf brauchen wir also schon.

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